Das Schulsystem in Deutschland ist nicht optimal, darüber sind sich wohl alle einig. Manche verteufeln es, manche rebellieren dagegen, manche nehmen es einfach hin. Ich persönlich bin kein Freund davon, gegen Windmühlen zu kämpfen, deshalb akzeptiere ich alles, was mir gerade noch akzeptabel erscheint, und konzentriere mich darauf, die Unzulänglichkeiten der Schule zuhause auszugleichen.
Vor einiger Zeit wurde ich auf eine Methode mit dem Namen Kumon aufmerksam. Auf der Website wird das System wie folgt umschrieben:
“KUMON ist eine einzigartige Lernmethode, die Kinder und Jugendliche dabei unterstützt, ihre Selbstlernfähigkeit zu entfalten. Das gesamte Konzept und die Lernmaterialien werden dabei als Werkzeug verstanden, um diese Fähigkeit zu entwickeln.”
Ich bin normalerweise kein Freund von derartigen “Systemen”, dennoch haben die Berichte einer Bekannten und ihrer Kinder mein Interesse geweckt, so dass ich mich ein wenig mehr damit beschäftigt habe. Kumon ist eine Methode, die schon in den 50er Jahren von einem japanischen Lehrer mit eben diesem Namen (Toru Kumon) entwickelt wurde, um seinem eigenen Sohn zu helfen, den Schulstoff besser zu verinnerlichen. In meinen Augen sind darin schon zwei Pluspunkte enthalten: Wenn die Methode über 50 Jahre alt ist, dann existieren Erfahrungswerte in rauher Menge, und wenn der Erfinder sie für seinen eigenen Sohn entwickelt hat, dann sehe ich das auch als Qualitätsmerkmal an.
Die Kumon Lernförderung gibt es für die Fächer Mathematik und Englisch. Das Konzept besteht aus zwei Bausteinen: Der Verinnerlichung von Konzepten, bis sie ins Rückenmark übergegangen sind, und zusätzlich das Training von Konzentrationsspanne, Lerntechniken und der Fähigkeit, sich selbst neues Wissen zu erschließen. Und über allem steht die Intention, dass die Schüler dabei auch noch Spaß haben. Klingt wie ganz schön viel auf einmal.
Das Grundprinzip von Kumon ist das kontinuierliche Dranbleiben. Es wird jeden(!) Tag – auch am Wochenende und in den Ferien – ein Arbeitsblatt bearbeitet. Das ganze soll nicht mehr als ca. 20 Minuten dauern. Korrigiert werden die Arbeitsblätter von den Eltern, indem Fehler nur angestrichen werden, so dass das Kind selbst herausfinden muss, was falsch ist, und seinen Fehler auch selbständig korrigiert. Zweimal in der Woche wird das Arbeitsblatt im Kumon Lerncenter unter Aufsicht bearbeitet und dort korrigiert. Die zuhause gemachten Blätter werden dann ebenfalls angesehen.
Das Kumon System ist in eine vielzahl von Stufen mit zunehmender Schwierigkeit aufgeteilt. Wenn ein Kind alle Arbeitsblätter einer Stufe erfolgreich bearbeitet hat, kommt die nächste Stufe dran. Für die Entscheidung, ob eine Stufe erfolgreich abgeschlossen wurde werden die gemachten Fehler, aber auch die benötigte Zeit, sowie ein kurzer “Abschlusstest” herangezogen. Sollte eine Stufe mal nach den regulären Arbeitsblättern noch nicht sitzen, wird so lange wiederholt, bis das jeweilige Ziel erreicht ist.
Was mich bei Kumon besonders angesprochen hat, ist die Tatsache, dass die Kinder nicht mit ihrem aktuellen Schulstoff beginnen. Stattdessen wird ganz zu Beginn ein ca. 10 -minütiger Einstufungstest gemacht, aufgrunddessen man in einer bestimmten Stufe startet, die auch bei einer Viertklässlerin durchaus aus einfachen Addidtions- und Subtraktionsaufgaben der zweiten Klasse bestehen kann (so geschehen bei meiner Großen). Ziel ist es (und hier wird es richtig spannend), all die Lücken, die in der Schule nicht geschlossen werden konnten, nachträglich so zu reparieren, dass die Kinder die Fähigkeiten der jeweiligen Stufe aus dem Effeff beherrschen. Zu Lücken oder Unsicherheiten kommt es unserer Erfahrung nach in der Schule zwangläufig, weil nicht alle Schüler mit allen Themen gleich gut zurechtkommen, und inzwischen selbst in der Grundschule der Lehrplan so straff ist, dass man in Zeitdruck gerät, wenn man nicht ein (für manche Schüler zu) schnelles Temp einschlägt. Aus diesen Unsicherheiten folgen dann in späteren Klassen weitere Unsicherheiten und vor allem eines: Frust.
Unsere Große hat wie gesagt bei Kumon mit Additions- und Subtraktionsaufgaben aus der ersten und zweiten Klasse begonnen. Die Arbeitsblätter bestehen aus ca. 60 Rechenaufgaben wie z.B. 11 + 5 = ?, 11 + 6 = ?, 11 + 7 = ?, etc. Auch wenn unsere Tochter natürlich Addition und Subtraktion beherrscht, gab es sichtbare Unsicherheiten in Form eines kurzen Zögerns, wenn sie Aufgaben jenseits der 10 bearbeitete – der feine Unterschied besteht darin, ob man die Aufgabe sieht und die Lösung einfach “aus dem Rückenmark” hinschreibt, oder ob man für Aufgaben auf diesem Niveau tatsächlich noch im Kopf einen Rechenvorgang ausführen muss. Ersteres ist natürlich die bessere Variante, weil es einfach effektiver ist, besonders unter Zeitdruck und in Prüfungssituationen.
Durch die vielen Wiederholungen und das kontinuierliche Dranbleiben gehen solche einfachen Rechenoperationen in relativ kurzer Zeit in Fleisch und Blut über. So ist es auch nicht verwunderlich, dass unsere Tochter, ausgehend vom Zweitklassniveau, jeden Tag zwei statt einem Arbeitsblatt bearbeitet, und die ersten zwei Stufen innerhalb von gut vier Wochen durchlaufen hat. Wie gesagt: gelernt die Aufgaben zu lösen hat sie schon in der Schule – in Fleisch und Blut übergegangen ist es jedoch erst jetzt. Nun geht es weiter mit dem schriftlichen Addieren und Subtrahieren …
Ein weiterer spannender Aspekt bei Kumon ist, dass der Schüler nicht halt macht, wenn er auf dem Niveau der aktuellen Klasse angekommen ist. Tatsächlich ist es die Regel, dass die Kumon Schüler irgendwann damit beginnen, dem Stoff der Schule vorauszusein. Und jetzt mal ganz ehrlich: Gerade bei Mathe ist das ein paradiesischer Zustand. Auf den weiterführenden Schulen, insbesondere auf dem Gymnasium, haben die Schüler so viel um die Ohren, dass es extrem hilfreich ist wenn man sich um das für viele mit Stress verbundene Fach Mathematik quasi nicht mehr kümmern muss, oder?
Bevor wir Kumon ausprobiert haben, habe ich im Internet recherchiert und neben vielen positiven auch einige kritische Stimmen gesehen. Der hauptsächliche Kritikpunkt bestand dabei darin, dass Kumon angeblich stumpfes Auswendiglernen sei, und die Abstraktionsfähigkeiten nicht fördert, sondern sogar verkümmern lässt. Nachdem ich mir die Kumon Arbeitsblätter der höheren Stufen (Lineare Algebra, Analytische Geometrie, Stochastik, etc.) angesehen habe, habe ich mir dazu jedoch eine andere Meinung gebildet.
Ja, am Anfang ist es stumpfes Einüben, solange bis gewisse Dinge aus dem Effeff beherrscht werden. Aber mal ehrlich: Was will man mit dem kleinen Einmaleins und Additionen und Subtraktionen im Zahlenraum bis 100 auch anderes machen? Es gibt gewisse Dinge, die müssen einfach auswendig sitzen. Schon beim schriftlichen Multiplizieren und Dividieren ist es jedoch so, dass die Schüler auf dem Arbeitsblatt eine Beispielaufgabe finden und die darauf folgenden Aufgaben selbständig rechnen müssen. In späteren Stufen steht dann eine Anleitung zum Lösen der Aufgabe (zusammen mit Hintergrundwissen) auf dem Arbeitsblatt, und die Schüler haben die Aufgabe, sich das Thema selbständig zu erarbeiten, was ihnen auch nicht schwer fällt, denn sie werden ja von Anfang an dorthin geführt. In meinen Augen ist das eine sehr gute Methode, außerhalb des starren Korsetts der Schule die Fähigkeit zum selbständigen Lernen und Wissenserwerb zu trainieren.
Nach mehr als einem Monat Kumon kann ich für meine große Tochter folgende Zwischenbilanz ziehen:
- Das Bearbeiten der Aufgaben hat ihr vom ersten Moment an Spaß gemacht, weil es ihr aufgrund der niedrigen Eingangsstufe leicht gefallen ist. So haben wir quasi jeden Tag Erfolgserlebnisse mit Mathe produziert. Der Spaßfaktor ist auch heute immer noch da.
- Sie macht die Aufgaben, entgegen ihrer ansonsten manchmal recht überschaubaren Motivation, freiwillig und selbständig – oft muss man sie sogar nicht einmal daran erinnern.
- In der täglichen Arbeit mit Kumon erleben wir, wie vermeidbare Fehler (mangelnde Konzentration, Sauklaue, etc.), die in Proben zu schlechteren Noten führen, langsam aber sicher ausgewetzt werden, weil es ihr irgendwann zu doof wird, die Aufgaben nur deshalb nochmal rechnen zu müssen, weil sie nicht sauber geschrieben oder die Aufgabenstellung nicht sorgfältig gelesen hat – vor allem das Letztere ist bisher ein Problem gewesen.
- Die Besuche im Kumon Lerncenter machen ihr ebenso nach wie vor Spaß und die bestandenen Abschlusstests machen sie stolz wie Oskar.
Meine Konklusion: Für uns und unsere Tochter ist Kumon ideal – sie braucht einfach ein paar Wiederholungen mehr als ihr die Schule liefern kann, und wenn diese Wiederholungen auch noch in einer entspannten Atmosphäre und (bei uns ganz wichtig!) nicht durch Mama oder Papa geschehen, dann ist die Welt in Ordnung.
Ach ja: Der Preis. Kumon ist nicht billig, aber seinen Preis wert. Für 90 EUR im Monat (für das erste Kind und das erste Fach) bekommt man für jeden Tag mindestens ein Arbeitsblatt und zweimal in der Woche die Betreuung im Center. Weitere Fächer oder die Geschwister kosten dann nur noch 50 EUR im Monat. Für uns geht das in Ordnung.
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