Ostreise 8 – Rauschen und die Kurische Nehrung

Frühes Aufstehen, frühes Frühstück. Wir haben heute einiges vor: das Ostseebad Rauschen (Светлогорск, Swetlogorsk) und dann auf die Kurische Nehrung. Gestern waren wir am Haff, jedoch auf dem Festland – heute fahren wir auf die Nehrung hinaus. Als wir Insterburg verlassen bin ich doch ein bisschen wehmütig. Vielleicht muss ich doch noch einmal zurückkommen und die Region mit dem Fahrrad erkunden. Mal sehen … vielleicht wenn die Kinder ein wenig größer sind und mitkommen können.

Wir fahren wieder zurück in Richtung Königsberg, und dann weiter in Richtung Nordwesten bis Rauschen. Der Badeort hat etwa 10.000 Einwohner und liegt an der samländischen Ostseeküste. Als wir dort ankommen, sehe ich das typische Flair, das wohl jeder Badeort an der Nord- und Ostseeküste hat. Viele Buden, die vor allem Bernstein in allen Variationen anbieten, sowie Badekleidung, Essen und Trinken und was das Herz der Badegäste sonst noch begehrt. Da Rauschen im 2. Weltkrieg nicht zerstört wurde, ist viel von der alten Bausubstanz erhalten und sogar bis auf wenige Ausnahmen in gutem Zustand. Man merkt, dass die Stadt heute ein beliebtes Ausflugsziel der etwas betuchteren Bevölkerung von Königsberg ist und auch aus dem ganzen Rest der Russischen Föderation im Sommer Gäste kommen. Viele der Gebäude sind noch im Besitz des Militärs, da Rauschen nach dem Krieg vor allem der Erholung und Genesung von Soldaten und Offizieren diente. Der Strand hier ist nur bedingt zum Baden geeignet, da die Küste sehr felsig ist und der früher vorhandene Sandstrand bis auf wenige Reste inzwischen von der Ostsee abgetragen wurde. Dafür gibt es eine schöne Uferpromenade auf der sich noch dutzende von weiteren Verkaufsständen aneinanderreihen.

Bildschirmfoto 2015-08-14 um 18.42.31Gegen Mittag fahren wir weiter nach Osten bis auf die Kurische Nehrung. Sie ist 98 km lang und zwischen 300 m und 3,8 km breit. Auf der Nehrung liegen nur ganz wenige Dörfer und sie wird durch die Grenze in einen russischen und einen litauischen Teil getrennt. Die Geschichte der Nehrung ist von Sturmfluten und Sandkatastrophen gezeichnet, bei denen ganze Dörfer innerhalb sehr kurzer Zeit durch starke Winde vom Sand zugedeckt wurden – das letzte Mal in den 1980er Jahren.

Im Besucherzentrum gibt es ein Café, wo uns ein reichhaltiges Mittagessen aus Fisch in allen Variationen erwartet. Der Nachtisch besteht aus Plinsen (ein neues Wort für mich) mit roter Grütze. Ziemlich vollgefuttert werfen wir noch einen Blick auf das Wasser, bevor wir wieder in den Bus einsteigen, um weiter auf die Nehrung hinaus zu fahren – wie gesagt: Sie ist ziemlich lang und alleine der russische Anteil beträgt 46 km.

So eine Reise mit dem Bus ist eigentlich recht bequem. Man hat sein Gefährt inkl. Verpflegung und Toilette immer dabei und muss noch nicht einmal selbst fahren. Wenn die Gruppe, mit der man unterwegs ist, gut zusammenpasst (wie es die unsere weitestgehend tut – ein paar Ausreißer sind immer dabei), dann ist das eine feine Sache. Aber ich merke, dass es jetzt gegen Ende der Woche anstrengend wird. Ich bin müde und eigentlich bereit, wieder nach Hause zu fahren.

Die Nehrung wurde mittels ausgefeilter Methoden so weit befestigt, dass heute Mischwälder darauf wachsen. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine Wanderdünen mehr. Zu einer dieser Ausnahmen, der Ephas Höhe, fahren wir nach dem Essen. Sie ist nach dem Mann benannt, der so viel für die Befestigung der Nehrung getan hat. Auf einem Holzsteg gehen wir einen guten Kilometer zu einer Aussichtsplattform, über die man schon einen guten Überblick über die Nehrung, die Ostsee und das Haff hat. Den besten Blick hat man aber auf der Plattform ganz oben auf der ca. 40 m hohen Düne, zu der wir dann auch noch laufen. Wunderschön.

Auf der anderen Seite kann man an einem breiten Sandstrand in der Ostsee baden. Wir machen uns also auf den Weg zurück, über den Parkplatz und zum anderen Ufer der Nehrung. Die Ostsee ist generell kälter als die Nordsee und viel kälter als das Mittelmeer. Wenn man an die 20 Grad Grenze herankommt, ist das schon etwas Besonderes. Für mich als bekennenden Warmduscher ist das definitiv nichts zum Baden, deshalb beschränke ich mich darauf, meine Füße ins Wasser zu halten. Das tut nach der ganzen Lauferei gut 🙂

Mir fällt zwischendrin auf, dass ich mittlerweile voll im „normalen Reisemodus“ bin. Die Emotionalität der vergangenen Tage ist im Wesentlichen vorbei, ein wenig Nostalgie kommt nur auf, als es im Bus um ostpreußische Wörter und Ausdrücke geht, von denen ich überraschenderweise eine ganze Reihe kenne. Ob das nun von meiner Oma ist oder auch nur, weil man sie auch in Aschaffenburg verwendet, kann ich nicht sagen. Aber es schafft dennoch ein Gefühl der Verbundenheit.

Der letzte Halt bevor wir nach Königsberg fahren ist die traditionsreiche Vogelwarte „Fringilla“ in Rossitten (Рыбачий, Rybatschi), immer noch auf der Nehrung. Sie wurde schon im Jahr 1901 gegründet und hat viel zur der Erforschung der Gewohnheiten der Zugvögel beigetragen. Sie befindet sich mitten im Wald. Unser Führer zeigt uns die seiner Aussage nach größten Netze der Welt, die in Form einer Reuse angeordnet sind, und mit denen sie jeden Tag Dutzende von Vögel fangen, sie beringen und dann wieder freilassen. Natürlich kommt die Führung nicht ohne eine Demonstration aus, und so zeigt er uns am Beispiel eines (halbwegs) frisch gefangenen Buntspechts, wie die Ornithologen in der Vogelwarte arbeiten. Armer kleiner Piepmatz, aber ich denke, er wird es überleben.

Wir fahren zurück. Endlich. Ich bin platt. Auf unserem Weg kommen wir noch durch Cranz (Зеленоградск, Selenogradsk), das zweite berühmte Seebad am Kurischen Haff. Kleiner und weniger schick als Rauschen, aber immer noch nett anzusehen. Durch den abendlichen Verkehr wälzen wir uns in die 500.000 Einwohner Stadt Königsberg. Zu sehen bekommen wir nicht viel, das kommt morgen dran.

Zum Abendessen soll es Königsberger Klopse geben, ein klassisch ostpreußisches Gericht. Ich freue mich darauf, denn ich hatte mir ohnehin vorgenommen, die Klopse, die meine Oma als Kind immer für mich gekocht hat, in deren Heimatstadt zu probieren. Das, was wir serviert bekommen, ist zwar ganz in Ordnung, jedoch – wie mir die echten Ostpreußen in der Gruppe versichern – weit entfernt von klassischen Königsberger Klopsen. Schmeckt auch ganz anders als bei meiner Oma. Ich nehme mir für zuhause vor, ein Originalrezept zu suchen und sie einfach selbst zu kochen.

Und noch etwas habe ich heute über ostpreußische Kulinaria gelernt: Der Meschkinnes oder Bärenfang ist ein klassisches alkoholisches Getränk aus dem alten Ostpreußen, das besonders im kalten Winter für die innere Wärme sorgte. Ich bestelle über das Internet ein kleines Fläschchen zum Probieren. Wenn es mir schmeckt, werde ich selbst welchen ansetzen.

Für heute ist dann erstmal Schluss. Ich genieße das komfortable Zimmer im Hotel und ruhe mich aus für den morgigen Tag, der sicher noch einmal anstrengend wird.