Mittelstufe plus

Im Main-Echo vom Donnnerstag steht auf der ersten Seite ein kurzer Artikel über die Mittelstufe plus (= Wiedereinführung des G9 durch die Hintertür). Es seien sowohl das Kulturministerium als auch die als Pilotschulen ausgewählten Gymnasien in Stadt und Landkreis Aschaffenburg überrascht, dass zwischen 80 und 90 Prozenz der Schüler lieber ein Jahr länger in der Schule bleiben, und das Abitur in neun Jahren machen, als im Eiltempo durch das Gymnasium zu rennen und schon mit 17 an der Uni zu studieren.

“Damit haben wir nicht gerechnet”, berichtet Direktor Lummel [vom Friedrich-Dessauer-Gymnasium].”

Wie konnte er auch … nachdem das G8 in Bayern ja damals auf vielfachen Wunsch der Elternschaft und nach intensiver und ausführlicher Konzeption und Erprobung eingeführt worden war …

Für die Damen und Herren im Kultusministerium ist es offensichtlich nicht vorstellbar, dass Schüler neben der Schule lieber Instrumente lernen, Sport machen oder sich mit Freunden treffen, anstatt zwei bis drei Nachmittage in der Penne zu pauken.

Echt überraschend …

Sprachliches Erbsenzählen

Gerade habe ich mit dem Amazon Kundendienst telefoniert. Die Mitarbeiterin am Telefon war sehr nett, hat verstanden was ich will, und wird mein Anliegen weiterleiten. Im Zuge des Gesprächs hat sie sich dann für die Probleme, die ich hatte “entschuldigt”. Das klang in dem Moment so unpassend, dass ich mich genötigt sah, ihr zu erklären, dass sie selbst ja nichts falsch gemacht habe. Beim weiteren Nachdenken verspürte ich dann das Bedürfnis, darüber ein paar Sätze in meinem Blog zu schreiben.

Jetzt beginnt die Erbsenzählerei 😉

Erstens: Man kann sich nicht selbst ent-schuldigen – man kann nur um Ent-Schuldigung bitten. Wenn ich einen Weg kennen würde, um mich mal eben so von Schuld zu befreien, dann würde ich eine neue Religion gründen, denn selbst bei den Katholiken braucht es einen Pfarrer, um die Schuld “von uns zu nehmen” 😉

Zweitens: Da die Frau am Telefon kein persönliches Versäumnis begangen hat, hat sie auch keine “Schuld”. Wahrscheinlich wurde ihr von den Amazon-eigenen Kommunikationstrainern eingetrichtert, dass Kunden es toll finden, wenn das Unternehmen dem Kunden Recht gibt, Fehler eingesteht und das Haupt demütig senkt. Grundsätzlich ist das auch die bessere Taktik, anstatt den Kunden wie einen Bittsteller zu behandeln, wie das leider öfter der Fall ist. Aber an den Formulierungen könnte man noch arbeiten …

Mein Vorschlag an Amazon: Bringt den Leuten bei, ihr Mitgefühl durch Formulierungen wie “Das tut mir leid”, oder “Ich kann Sie gut verstehen” auszudrücken. Das klingt ehrlicher und trifft den Punkt viel besser.

Berufung – für Gewerkschaften unvorstellbar

Da liest man gerade einen Artikel auf Spiegel Online über eine Frau, die seit 70 Jahren am Stuttgarter Ballett arbeitet und selbst mit 87 noch Spaß daran hat und fit genug ist. Sieht aus, als ob die Frau im Ballett ihre Erfüllung gefunden hat. So etwas berührt mein Herz.

Und dann muss ich einige Absätze weiter unten lesen:

“Ein 70-jähriges Dienstjubiläum ist selbst gestandenen Gewerkschaftern noch nicht untergekommen. “Da gratuliere ich sehr herzlich”, sagt Leni Breymaier, Landeschefin von Ver.di. Sie sieht es aber auch kritisch, dass Tsinguirides noch immer arbeitet: “So etwas ist einmalig. Und bleibt es auch. Hoffentlich.” Auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Berlin hat man so was noch nie gehört.”

Ihr IDIOTEN! Habt Ihr noch nie etwas von Berufung gehört?

Die Idee, aus der die Gewerkschaften vor vielen Jahren entstanden sind, ist eine gute: Die Interessen der “kleinen” Arbeitnehmer gemeinsam zu vertreten. Das, was sich heute daraus entwickelt hat, hat jedoch mit diesen Interessen oft nicht mehr viel zu tun.

Und das Zitat von Frau Breymaier zeigt, dass es offensichtlich für Gewerkschafter nicht vorstellbar ist, dass es tatsächlich Menschen gibt, die ihre Arbeit lieben und auch im Alter nicht darauf verzichten wollen.

Gedanken zum Wochenende

Viele Menschen verwechseln Angst mit Vorsicht und Vorsorge. Zumindst in in der westlichen Welt sind jedoch die meisten unserer Ängste, die dazu führen, dass wir uns klein machen, unbegründet. Deshalb ist es angenehmer und gesünder, so weit es geht auf Angst zu verzichten. Und der rationale Verstand ist dafür ein wunderbares Werkzeug.

Psychologisches Schmankerl

Gerade habe ich einen humoristischen Beitrag von George Takei (“Mr. Sulu” aus Star Trek) auf Facebook gesehen, der mit dem, in der amerikanischen Kultur öfter als bei uns benutzen, Adjektiv “passive-aggressive” spielt.

Aus Interesse habe ich dann mal nachgeschlagen, was die deutsche Version von Wikipedia zu dem Thema zu sagen hat. Dort steht unter anderem:

Unter einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung versteht man ein Trotzverhalten, wie es in der Pubertät häufig zu finden ist, sich aber darüber hinaus manifestiert.

Aha … wenn man also als Erwachsener mal trotzig ist, dann ist die Persönlichkeit gestört. Was mir jedoch sprichwörtlich die Schuhe ausgezogen hat, ist der Satz, der ein wenig unterhalb des bereits Zitierten steht:

Entstanden ist die Diagnose der passiv-aggressiven Persönlichkeit im Zweiten Weltkrieg, als Soldaten u. a. den Fronteinsatz verweigerten.

Alles klar. Wenn Du nicht jubelnd in den Krieg ziehen willst, um Dich umbringen zu lassen, dann bist du natürlich krank. Ich erinnere mich daran, dass ich in Biologie mal gelernt habe, dass man das “Überlebenstrieb” nennt …

Der einzige Kommentar, der mir dazu noch einfällt ist, dass dann wohl Mahatma Gandhi der bisher schwerste Fall einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung war.

Der Impfreflex

Mein Post von gestern war offensichtlich ein Griff ins Wespennest. Nicht, dass ich nicht damit gerechnet hätte, dass es kontroverse Reaktionen gibt, aber das, was da an Kommentaren gekommen ist, hat mich teilweise schon etwas verwundert den Kopf schütteln lassen.

Viel wichtiger ist jedoch, dass ich dabei wieder etwas gelernt habe: Wenn die Emotionen derart hochgepeitscht sind, dann ist es fast egal, was man sagt. Selbst wenn man gar keine Diskussion anzetteln will, ob Impfen sinnvoll/gefährlich/effektiv/nutzlos ist, sondern eigentlich nur sagen wollte, dass eine Impfpflicht ethisch und moralisch fragwürdig ist und dass man sich über die achtlosen Bemerkungen mancher Zeitgenossen in dieser Hinsicht wundert – sobald das Wort “impfen” in einem Zusammenhang darin vorkommt, der auch nur den geringsten Interpretationsspielraum dafür lässt, dass man selbst kein jubelnder Befürworter ist, wird von manchen reflexartig versucht einen gnadenlos gegen die Wand zu diskutieren. Mit sprichwörtlichem Geifer vor dem Mund werden da die bekannten Argumente hervorgezogen und als Erwiderungen wie Kanonenkugeln auf Aussagen gefeuert, die nicht wirklich etwas mit dem Argument zu tun haben.

Der Eifer, mit dem die fanatischen Befürworter das tun, hätte Glaubenskriegern  vergangener Jahrhunderte wohl definitiv zur zweifelhaften “Ehre” gereicht …

Werde ich deswegen fürderhin schweigen? Wahrscheinlich nicht. Aber ich werde mir beim nächsten Mal gut überlegen, ob ich mir die wilde Meute an den Hals holen will – und wenn ja, dann werde ich es bewusst und mit Freude tun 😉

Von zweifelhafter journalistischer Qualität

Gerade ist mir auf Spiegel Online ein Artikel mit dem Titel “Pseudowissenschaft Quantenmedizin: Einstein für Esoteriker” über den Weg gelaufen. Man kann über das Thema ja wirklich geteilter Meinung sein und es ist sicherlich auch richtig, dass es momentan keinen, nach den klassischen Regeln der Empirik ausreichenden Nachweis der Wirksamkeit gibt – aber das mag in 10, 50 oder 100 Jahren anders aussehen. Natürlich stimmt es auch, dass es in dem Bereich, neben soliden und integeren Produkten auch einiges an Humbug gibt.

Was der Spiegel in dem Artikel aber vom Stapel lässt, bewegt sich eher auf dem Niveau der Bildzeitung. Die mangelnde journalistische Sachlichkeit ließe sich höchstens noch mit einer Kennzeichnung als “Kommentar” entschuldigen – das ist aber nicht der Fall. Insofern eine weitere Attacke im Rahmen des Kreuzzugs des Spiegels gegen alles, was über das Weltbild der Schreiber hinausgeht und sich (noch) nicht erklären lässt. Schade.

Auschwitz vergessen? Nie! Aber ich trage keine Schuld daran.

Momentan macht ein Kommentar von Anja Reschke die große Runde in den sozialen Medien. Viele stimmen ihm uneingeschränkt zu. Beim Ansehen musste ich jedoch für mich feststellen, dass ich das nicht tue – zumindest nicht uneingeschränkt.

Vergessen darf man Auschwitz nie … aber zu meiner persönlichen Identität als Deutscher gehört es nicht. Es gehört zur Geschichte der Nation in der ich lebe, genauso wie der Massenmord an den Eingeborenen zu quasi jeder Nation der neuen Welt gehört. Aber es gehört nicht zu meiner Identität.

Ich bin ich. Ich habe niemanden ermordet oder auch nur weggesehen und geschwiegen, als andere gemordet haben. Ich trage keine Schuld an Auschwitz.

Wenn es Teil meines Weltbildes gewesen wäre, dass es in Ordnung ist, andere Menschen zu töten oder zu verletzen, dann hätte ich wahrscheinlich aus den schrecklichen Bildern der alliierten Kameraleute etwas gelernt. Aber das war gar nicht nötig.

Nur weil ich in Deutschland geboren bin und einen deutschen Pass habe, trage ich keine Schuld an Auschwitz. Die Generation der Schuldigen und der Opfer ist dabei, auszusterben. Und mit ihr muss auch das Thema von Schuld und Sühne sterben. Die Aufgabe der Lebenden ist es, das Gelernte nicht zu vergessen und dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Nirgendwo auf der Welt.

Noch ein Gedanke zu Charlie Hebdo

Die Wellen derjenigen, die hysterisch die Pressefreiheit gegen die islamistischen Horden verteidigen und den Untergang der freien Meinungsäußerung als unmittelbar bevorstehend ansehen, schlagen immer noch noch.

Es ist erstaunlich, was da an Emotionen hochkocht. Die einen stilisieren das Charlie Hebdo Magazin und seine Macher zu den letzten aufrechten Journalisten hoch, andere (und dazu gehöre auch ich) versuchen, das Ganze etwas differenzierter zu sehen, was dann wiederum dafür sorgt, dass man von den emotional aufgepeitschten Verteidigern des Abendlandes umgehend angefeindet wird, wenn man mal etwas schreibt, was nicht in deren Weltbild passt. Da kann ich nur froh sein, dass die nicht auch zur Kalashnikov greifen … das hoffe ich jedenfalls.

Dann gibt es auch noch diejenigen, die sehr subtil aber deutlich wahrnehmbar anmerken, dass Charlie Hebdo auf gewisse Weise selbst doch dran Schuld gewesen sei … Dem kann ich mich nun wiederum gar nicht anschließen. Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen.

Beim Sinnieren über dieses Thema ist mir der folgende Satz eingefallen, der meiner Meinung nach recht gut zu der Sache passt:

“Wer auf Provokation mit Gewalt reagiert, ist immer im Unrecht. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass die Provokateure zuvor im Recht gewesen sind.”

Bin auch ich Charlie?

Unter dem Eindruck des “Je suis Charlie”-Phänomens habe ich eine ganze Weile überlegen müssen, ob ich mich dazu äußern will oder nicht. Massenbewegungen, ja man könnte fast “Hysterien” sagen, waren mir schon immer suspekt und meistens suche ich eher das Weite, wenn sich die Menge in Bewegung setzt. Ich habe mich dennoch entschieden, mein Blog dazu zu nutzen, um meinen Senf dazuzugeben. Vielleicht werde ich dafür gesteinigt, vielleicht kann ich aber auch den einen oder anderen dazu bewegen, manche Dinge kritisch zu hinterfragen, anstatt sie unreflektiert nachzuplappern.

Um Vorab eines ganz klar gesagt zu haben: Gewalt lässt sich durch nichts rechtfertigen oder entschuldigen. Das Attentat auf die Charlie Hebdo Redaktion war ein feiger Anschlag auf wehrlose Menschen. Ohne Wenn und Aber.

Was mich beschäftigt ist hingegen die Frage, ob auch ich Charlie bin. Mein Mitgefühl gilt den Opfern und vor allem auch den Hinterbliebenen und Kollegen. Aber möchte ich mich mit der Institution dieses Magazins solidarisieren oder sogar identifizieren?

Ich muss zugeben, bis gestern hatte ich mir die Inhalte des Magazins nicht wirklich angesehen. In den Medien hört man immer von “frecher Satire” – da denke ich zuerst mal an Titanic und Konsorten. Keine Frage, dass auch ich mich hinter Titanic stellen würde (alleine schon aus Gründen der Meinungs- und Pressefreiheit), wenn denen jemand ans Leder wollte.

Durch einen Beitrag von Felix R. Paturi auf Facebook bin ich jedoch neugierig geworden und habe mir via Google mal die Titelbilder von Charlie Hebdo angeschaut, die so im Netz herumspuken. Oft geht es dabei um Kirchen und Religion – Christentum, Judentum und Islam sind allesamt im Zielkreuz.

Ich selbst gehöre keiner organisierten Religion an und bin kein Freund der Kirchen. In meinen Augen sind sie vor allem Institutionen der Machtausübung über die Menschen und deshalb ist es richtig und notwendig, sie für alles Kritikwürdige auch zu kritisieren. Der Papst ist mir Wurscht und wenn jemand einen guten Witz über Jesus, Mohammed oder Jahwe macht, dann bin ich der letzte, der sich bemüßigt fühlt, nicht zu lachen oder sogar den Gutmenschen heraushängen lässt.

Die Grenze zwischen einem Witz und Satire auf der einen, und Respektlosigkeit auf der anderen Seite ist jedoch fließend. Ersteres muss immer möglich sein und hilft dabei, Menschen einen Spiegel vorzuhalten, die das Thema Religion vielleicht etwas zu ernst nehmen. Letzteres muss zwar auch möglich sein (da wären wir wieder beim Thema Meinungsfreiheit), ist in meinen Augen aber überflüssig. Muss ich wirklich bewusst und immer wieder Dinge sagen oder publizieren, von denen ich schon im Voraus weiß, dass sie die Gefühle vieler Menschen verletzen?

Die Titelbilder von Charlie Hebdo (und wahrscheinlich auch die Inhalte der Hefte) sind oft vulgär und dazu geeignet und gemacht, religiöse Gefühle zu verletzen. Es werden unter anderem Dinge gezeigt wie Vater, Sohn und heiliger Geist beim Analverkehr, oder ein Muslim, der, von Kugeln durchsiebt, einen Koran vor sich hält und sagt: “Der Koran ist scheiße – er hält noch nicht einmal Kugeln ab”.

Ich bin weder Christ, noch Jude, noch Muslim. Ich glaube nicht an die Lehren der Kirchen und es gibt unendlich viele Dinge, die ich sowohl an den Religionen als auch an den Institutionen der Kirchen kritisiere. Aber ich respektiere es, wenn jemand anderes an diese Lehren glaubt, genauso wie ich erwarte, dass mein Gegenüber mein Weltbild respektiert.

Eben an diesem Respekt mangelt es Charlie Hebdo in meinen Augen. Deshalb trauere ich um die Menschen, die zu Tode gekommen sind und fühle mit den Hinterbliebenen. Aber ich solidarisiere mich nicht mit dem Magazin als Institution. Nur, weil es Ziel eines Anschlags geworden ist, wird aus einem respektlosen Blatt keine Kunst.

Bin ich also auch Charlie Hebdo? Klare Antwort: Non, je ne suis pas Charlie!